18.9.08

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Die Uhr war der erste Automat. Diese Aussage scheint bescheiden, enthält aber eine umfassende Bedeutung. Automat heißt «sich selbst bewegend» - und was oder wer auf der Erde, ausgenommen Lebewesen wie Mensch und Tier, konnte sich zu jener Zeit selbst bewegen? Sich selbst bewegen hieß Leben in sich haben, lebendig sein - dies im Gegensatz zu Gegenständen ohne eigene Bewegung. Mit der Uhr hatte der Mensch sozusagen seinesgleichen erschaffen, hat er toter Materie zum Leben verholfen.

Die Uhr war leicht verständlich und analysierbar. Sie funktionierte nach geometrischen und mechanischen Vorgaben. Es lag nahe, das übrige Leben entsprechend zu begreifen. Die mechanische Uhr war Geburtshelferin des mechanistischen Weltbildes, in dem Gott als Uhrmacher auftrat und der Mensch zum Schöpfer wurde. Sie ist ältestes und wichtigstes Symbol dieser Geistesströmung, die durch Descartes und Newton ihren ersten Höhepunkt erreichte und heute vor allem in den Naturwissenschaften die bestimmende Weltanschauung ist.





In den folgenden Jahrhunderten nach dem Aufkommen der Uhr ging es darum, ihre Genauigkeit zu verbessern und sie handhabbarer zu machen. Frühe Uhren lebten oft nicht viel länger als ihre Konstrukteure. Sie waren sensible Maschinen, die ihren Dienst bald versagten, wenn sie nicht ständig gewartet wurden. Zudem waren sie meist von hängenden Gewichten angetrieben und konnten nicht einfach transportiert werden. Reisende wollten aber robuste Uhren, die sie mitnehmen konnten. Abhilfe schuf die Entdeckung der Feder als Energiequelle. Dadurch konnten Uhren hergestellt werden, die standortunabhängig funktionierten und in kleineren Ausgaben mitgetragen werden konnten.

Jost Bürgi, ein Schweizer in den Diensten des Landgrafen Wilhelm IV. von Hessen Kassel und Kaiser Rudolfs II. in Prag, bemühte sich, präzisere Uhren zu bauen. Er versuchte im 16. und 17. Jahrhundert Mechanismen zu entwickeln, die mit Sekundenlänge schwangen und verlässliche astronomische Beobachtungen ermöglichten. Zu diesem Zweck ließ er zwei Waagen gegeneinander schwingen, um Ungleichheiten zu kompensieren. Anders als üblich ordnete er diese bewegten Massen vertikal an und schuf damit, ohne sich der Konsequenzen bewusst zu sein, einen Pendelmechanismus - den ersten in einer Uhr!








Die Ganggenauigkeit der Uhr wirklich verbessert hat neben Galileo Galilei der Wissenschafter Christian Huygens, der das Pendel zum ersten Mal konsequent in die Uhr einbaute und 1673 die Theorie dazu im Buch «Horologium oscillatorium» lieferte. Dem Isochronismus des Pendels, der besagt, dass ein Pendel von bestimmter Länge für seine Schwingungen immer gleich lange brauche, wie weit es auch ausschlage, wenig oder viel, war zwar schon Galilei auf der Spur, die Begründung dazu und die Grundlagen und Anweisungen zur Anwendung in Uhren hat aber erst Huygens geliefert.

Huygens schlug auch als erster vor, das bisherige Schwingorgan Waag mit einer Spiralfeder zu einem Eigenschwinger zu verbinden. Eigenschwinger sind Mechanismen, die einen Ruhepunkt haben, um den sie schwingen, wenn sie davon entfernt und dann losgelassen werden. Diese Schwingungen sind beim Pendel wie bei der Spiralunruhe nahezu isochron, doch wegen der Reibungskräfte abnehmend. Damit die Schwingung erhalten bleibt, muss gerade so viel Energie zugeführt werden, wie durch die Reibungskräfte verloren geht.

Während der Waag die Schwingung vom hängenden Gewicht über das Räderwerk von außen aufgezwungen wurde, war sie im Eigenschwinger bereits enthalten. Er musste lediglich aus der Ruhe gebracht werden. Mit diesen Eigenschwingern waren endlich Vorgänge auf der Erde entdeckt, die auf natürlichen Prinzipien - der Schwerkraft von Gegenständen und der Elastizität von Materialien - beruhten und die gleichzeitig durch eine Hin- und Herbewegung ein genügend kleines, gleichmäßiges und verwertbares Zeitnormal lieferten. Ob nun später abgelöst von elektrisch angeregten Stimmgabeln, in Schwingung versetzten Quarzen oder von Atomen, die zu Phasenübergängen angeregt werden, das Prinzip des Eigenschwingers blieb sich gleich. Lediglich die Schwingungsdauer verringerte sich, womit größere Genauigkeit erreicht wurde.

Nach Huygens ging es darum, das Erreichte zu optimieren. Dies geschah hauptsächlich auf zwei Gebieten: der differenzierteren Kombination von Materialien und der Verfeinerung der Hemmungskonstruktion.



Durch die erhöhte Genauigkeit der Uhren zeigte sich bald, dass die verwendeten Materialien einen Einfluss auf deren Gang nahmen. Wärmeschwankungen konnten eine Uhr beschleunigen oder verlangsamen. Besonders bei Pendeluhren zeigte sich dies deutlich. Bei höheren Temperaturen verlängerte sich das Pendel, und die Uhr ging nach, bei geringeren verkürzte es sich, und die Uhr ging vor. Auf Grund der Kenntnisse des Dehnverhaltens der Materialien gelang es jedoch, verschiedene Metalle, etwa Messing und Stahl, so zu kombinieren, dass das Pendel seine Länge beibehielt. Eine entsprechende Pendelkonstruktion wurde zuerst von John Harrison im ersten Viertel des 18. Jahrhunderts vorgeschlagen. Mit der Zeit fand man aber auch Legierungen, die sich bei Temperaturveränderungen nur wenig ausdehnten oder zusammenzogen und zu Pendelstangen verarbeitet werden konnten. Nicht nur die Länge, sondern auch die Elastizität von Materialien verändert sich mit der Temperatur. Dieses Problem liess sich ebenfalls mit Legierungen lösen.

Bedeutend länger dauerte die Entwicklung der Hemmung. Unter der Hemmung verstehen Uhrmacher jenen Teil der Uhr, der die Antriebsenergie in kleine Portionen zerlegt und damit das Uhrwerk gleichmäßig bewegt. Bei den Hemmungskonstruktionen ging es darum, den Einfluss des Energiespenders (Aufzugsfeder oder hängendes Gewicht) auf den Schwinger als Energieempfänger soweit wie möglich zu minimieren, um diesem den freien Schwung zu gewähren, der für die Präzision garantiert.
 
 

Die bisherigen Hemmungen, vor allem die Spindelhemmung und der Hakengang, erfüllten diese Aufgabe nur bedingt, da das Schwingorgan dauernd von der Kraft beeinflusst wurde, die seine Schwingung aufrechterhalten sollte. Erst die freie Ankerhemmung von Thomas Mudge 1750 erlaubte der Spiralunruhe, weitgehend frei und unbeeinflusst zu schwingen. Diese Hemmung von Mudge wurde bis zur heute in Armbanduhren üblichen Schweizer Ankerhemmung weiterentwickelt. Sie ist damit wohl endgültig optimiert. Heute denkt man deshalb darüber nach, auf der Basis anderer Konstruktionsprinzipien die mechanischen Oszillatoren für Uhren auf bessere Grundlagen zu stellen.

Es wurden aber auch Eigenschwinger entwickelt, die keine Hemmung brauchten. 1960 brachte Bulova die elektrische Stimmgabeluhr auf den Markt, deren Oszillator eine elektrisch in Schwingung gehaltene Stimmgabel ist, die ihre Schwingungen über Sperrhebel an ein feingezahntes Sperrrad überträgt und dieses dadurch in eine Drehbewegung versetzt. 1967 gab es von Omega und Seiko die ersten tragbaren Quarzuhren zu kaufen, bei denen ein Frequenzumwandler die Schwingungen eines Quarzes abhört und an einen Elektromotor weiterleitet, der das Räderwerk antreibt. Beiden Eigenschwingern ist gemeinsam, dass die zugeführte elektrische Energie direkt in eine brauchbare Schwingung umgewandelt wird, ohne dass sie von einer Hemmung portioniert werden muss.



Neben diesen Uhren für den täglichen Gebrauch hat die Wissenschaft hochpräzise Atomuhren entwickelt, mit denen die Basiseinheit der Zeit exakt bestimmt werden konnte: 1968 wurde auf der internationalen XIII. Generalkonferenz für Mass und Gewicht «die Sekunde als die Dauer von 9 192 631 770 Perioden der Strahlung, die dem Übergang zwischen den Hyperfeinstrukturen des Grundzustandes des Zäsiumatoms 133 entspricht», festgelegt.

Mit einer so genauen Zeitbasis ließen sich auch Längen auf eine neue Weise definieren: 1983 wurde das Metermass neu als die Distanz definiert, die ein Lichtstrahl innerhalb eines 299 792 458sten Teils einer Sekunde durcheilt. Hier definiert Zeit Länge. Ein Hinweis darauf, dass Zeit und Raum lediglich zwei Aspekte desselben Phänomens sind.

Keine der Uhren, die seit dem 14. Jahrhundert erfunden worden sind, hat jedoch ursächlich etwas mit Zeit zu tun. Die mechanische Uhr ist lediglich eine sich selbst bewegende Maschine, die zur Zeitmessung eingesetzt wird. Ihre Bewegungen bilden eine Reihe von sich gleichmäßig wiederholenden Ereignissen. Normalerweise beruhen Ereignisreihen nicht auf Wiederholungen, sondern bestehen aus mehr oder minder willkürlich aneinander gereihten Ereignissen, wie etwa im Leben eines Menschen.

Wenn man aber eine Reihe mit sich wiederholenden Ereignissen einer normalen Ereignisreihe gegenüberstellt, können die repetitiven Ereignisse gezählt und damit die Ereignisse der anderen Reihe gemessen und bestimmt werden. Erst durch die Gegenüberstellung zweier Ereignisreihen entsteht zwischen diesen ein Vorher und Nachher, was zu einer zeitlichen Ordnung der Ereignisse und damit zum Begriff Zeit führt. Zeit ist somit nicht etwas per se Existierendes, wie etwa ein Baum, sondern Zeit ist ein Metabegriff, ein Instrument, mit dessen Hilfe der Mensch in seiner Umgebung Ordnung schafft und sich mit seinesgleichen verständigt.



Als Ordnungsinstrument sind Zeit und Uhr große kulturelle Errungenschaften. Die Uhr bietet dem Menschen im Kleinen - ähnlich wie die Bewegung der Gestirne am Himmel im Grossen - Reihen mit sich wiederholenden Ereignissen, die ihm als Schablone oder Maßstab für andere Ereignisse dienen. Die Uhr erzeugt lediglich den Takt, der erst mit anderen Ereignisreihen zusammen zum Ordnungsbegriff Zeit erwacht.